Logistik 4.0 – Viva la revolución!
In der Logistik ist man mit immer neuen Schlagworten konfrontiert. Logistik 4.0 ist ein Begriff, der in den letzten Jahren aufgekommen ist, man könnte das wohl als Auswirkung von Industrie 4.0 auf den Logistikbereich als Querschnittsfunktion bezeichnen. Warum aber nun 4.0? Die Nummerierung leitet sich aus den industriellen Revolutionen ab. Als erste industrielle Revolution wird die Mechanisierung, z.B. durch den Einsatz von Dampfmaschinen, bezeichnet. Nummer 2 war dann die Einführung der Massenfertigung mit Hilfe von technischen Hilfsmitteln (z.B. Fließbänder). Die dritte industrielle Revolution bezeichnet die digitale Revolution durch die Nutzung von Elektronik und Informationstechnologie. Als vierte industrielle Revolution werden wesentliche Organisationsänderungen bezeichnet die mittlerweile Einzug in die Welt gefunden haben, wie z.B. die Vernetzung von Maschinen (Internet of Things), die Nutzung virtueller Abbilder (digitaler Zwilling), die Implementierung von Assistenzsystemen (Robotik) oder die Nutzung von technischen Systemen die lernfähig sind und möglichst autonom Entscheidungen treffen (künstliche Intelligenz). Diese Entwicklungen machen auch vor der Logistik nicht Halt und gehen in Riesenschritten voran. Ein sehr dynamisches Umfeld in dem laufend neue, innovative Unternehmen in Erscheinung treten. Auf ein paar der Entwicklungen, die bereits jetzt Einzug in den Logistikalltag gefunden haben oder das wohl bald werden, gehe ich in meinem heutigen Beitrag ein.
Automatisierung im Lagerbereich
Automatisierung im Lager ist an sich nichts neues. Dinge wie Fördertechnik und vollautomatisierte Läger sind seit Jahrzehnten im Einsatz. Was ist also neu? In erster Linie die, durch neue Technologien gewonnene, Flexibilität. Moderne Technologien sind oft generischer einsetzbar und erfordern geringeren Einsatz in der Implementierung. Möglich wird das durch die Fähigkeit der Geräte im Betrieb zu lernen und sich somit selbst zu optimieren als auch durch die Fähigkeit miteinander zu kommunizieren. Moderne autonome Transportsysteme benötigen z.B. keine baulichen Vorbedingungen wie im Boden eingelassene Induktionsschleifen, sondern werden einmal per Fernbedienung durch den zu befahrenden Bereich geführt. Das Gerät wird also nicht mit unzähligen Zeilen in Programmiersprache für das jeweilige Umfeld programmiert, sondern bekommt, plakativ ausgedrückt, einmal die Aufgabe gezeigt und dann noch entsprechende Rahmenparameter mitgeteilt. Moderne Sensoren ermöglichen die Interaktion mit der Umgebung. So wird z.B. ausgewichen, wenn ein Hindernis den Weg blockiert oder gestoppt, sobald ein Mensch zu nahe den Weg des Geräts kreuzt. Die Maschine lernt weiter. Dieses gezeigte und gelernte Wissen kann dann auch von einem Gerät an das andere weitergegeben werden.
Drohnen im Lager
Mittlerweile serienreif ist der Einsatz von autonomen Drohnen im Lagerbereich, nicht für den Transport, sondern für Kontrollaufgaben. Nur ein kleinerer Teil der Lagerstandorte arbeitet 7 Tage die Woche rund um die Uhr, ein guter Grund die restliche Zeit mit Technologien zu nuten die (noch) nicht für die Nutzung im laufenden Lagerbetrieb geeignet sind. Ein gutes Einsatzgebiet für autonome Drohnen ist die Inventur im Hochregal. Inventurdrohnen fliegen in der betriebsfreien Zeit durch die Gänge des Hochregals und inventieren die Ware. Der Prozess dahinter ist nicht so banal wie es am ersten Blick aussehen mag. Mit Kameras werden die jeweiligen Paletten erfasst, die Barcodes interpretiert und die Daten mit dem Lagerverwaltungssystem abgeglichen. Um aus Fotos die richtigen Schlüsse zu ziehen, um Artikel- oder Mengenabweichungen sowie Schäden zu erkennen ist wiederum einiges an künstlicher Intelligenz erforderlich. Die Entwicklung in diesem Bereich schreitet rasend schnell voran, laufend werden Lösungen mit erweiterten Funktionsumfang vorgestellt. Ich kann mir gut vorstellen, dass in ein paar Jahren zumindest im Bereich sortenreiner Palettenlagerung die Nutzung der Drohne die Regel und die manuelle Inventur durch Mitarbeiter die Ausnahme sein wird.
Automatisierung im Transportbereich
Im Transportbereich ist die Einführung von Automatisierung und künstlicher Intelligenz eine emotional geführte Diskussion. Je weniger komplex (in Sinne von Teilnahme anderer Verkehrsteilnehmer) und je mehr abgeschlossen der Verkehrsbereich ist, umso eher wird (Teil)-Automatisierung akzeptiert. In der Luft, auf See und auch auf Schiene sind Assistenzsysteme und Automatisierung zum Teil schon seit Jahrzehnten ständiger Begleiter. Der öffentliche Straßenverkehr allerdings ist der Verkehrsbereich mit höchster Komplexität, der Bereich mit den meisten (oft nicht berechenbaren) Teilnehmern auf kleinstem Raum. Zusätzlich zu den technischen Voraussetzungen müssen daher viele ethische und rechtliche Fragen geklärt werden, bevor das vollständig autonome Fahren bei uns Realität werden kann. Versuche auf dem Weg zum teilautonom fahrenden LKW gab es bereits unter dem Begriff Platooning. Dabei werden mehrere LKW mit gleichem Fahrziel zu einem Platoon (das Wort kommt aus dem englischen und bezeichnet einen Zug im militärischen Sinn) zusammengefasst. Die LKW eines Platoons weißen eine Datenvernetzung auf, die Bewegung des Platoons wird vom Fahrer des ersten LKW gesteuert. Im bisherigen Testbetrieb waren allerdings noch in allen Fahrzeugen Fahrer an Bord, um bei Bedarf eingreifen zu können. Vorteil dieser Lösung ist der Wegfall der Reaktionszeit und die damit mögliche Verringerung des Abstands zwischen den Fahrzeugen (Verbrauchsminderung durch Windschatten) und eine gleichmäßigere Fahrt aller Fahrzeuge durch konstante Beibehaltung des Abstands. In Zukunft könnte das Platooning durchaus auch ein Zwischenschritt zum vollautonomen Fahren sein, in dem nur der erste LKW des Platoons mit einem Fahrer besetzt ist. Aber auch im Bereich vollautonomes Fahren wurden mittlerweile erste Pilotprojekte auf den Weg gebracht, bei den mir bekannten handelt es sich um kürzeren Pendelverkehr auf fix vorgegebenen Routen, die aber teilweise auch über öffentliche Straßen mit entsprechenden Verkehrssituationen führen (Nachrang gegenüber anderen Fahrzeugen, Kreisverkehre, …). Bis diese LKW aber wirklich fahrerlos, also ohne Kontrollfahrer, der bei Bedarf eingreifen kann, auf der Straße unterwegs sind wird es wohl noch einige Jahre dauern.
Ob der Transport in Zukunft auf bestehenden Wegen erfolgt oder mittels alternativer Konzepte wie z.B. Drohnen wird intensiv diskutiert. Ich gehe davon aus, dass zumindest in den nächsten 20 Jahren die grundlegenden Verkehrsträger (Flugzeug, Bahn, Schiff, LKW), wenn auch im autonomen Betrieb, die Hauptlast des Transportbedarfs tragen werden. Der Einsatz von alternativen Konzepten ist aber durchaus sinnvoll. Drohnen könnten eine Lösung für zeitkritischen Transport oder den Transport von kleineren Sendungen in abgelegene Gebiete auf allen Kontinenten sein. Dass im urbanen Gebiet in absehbarer Zeit jeder seine Internetbestellung binnen Stunden mittels Drohne zugestellt bekommt kann ich mir, zumindest aus heutiger Sicht, aber nicht vorstellen.
Wirkung und Nebenwirkungen
Wie viele andere Entwicklungen sind auch die Begleiterscheinungen von Logistik 4.0 bzw. Industrie 4.0 differenziert zu sehen. Auf der einen Seite können durch diese Entwicklung Menschen, die in belastenden Arbeitsumgebungen oder in prekären Arbeitsverhältnissen tätig sind, aus diesem Umfeld geholt werden. Andererseits wird Technologie oft nicht für neue Aufgaben implementiert, sondern vermindert den Bedarf an Menschen in diesem Bereich. In einer florierenden Wirtschaft nahe an der Vollbeschäftigung ist diese Technisierung wohl eine Voraussetzung für weiteres Wachstum. Was passiert, aber wenn wir nicht mehr in der Lage sind, den aus den Arbeitsumgebungen verdrängten Menschen höherwertige Aufgaben zu übertragen? Gewiss, diese Problematik ist nicht neu. Veränderungen und Optimierungen gab es im Wirtschaftsleben schon immer. Wenn man diese Entwicklung aber als 4. Industrielle Revolution, als etwas Großes unser aller Leben nachhaltig Veränderndes, sieht muss man diese Fragen zulassen – und Lösungen dafür finden. Denn nicht alles was möglich ist muss im Kontext der aktuellen Situation und mit Blick auf die Zukunft auch richtig sein.
Fazit
Um Missverständnisse auszuräumen: Ich, als technikaffiner Mensch, bin überzeugt von der Entwicklung in Richtung Logistik 4.0 und begeistert von den Anwendungen, die sich daraus ergeben. Allerdings sollten wir mittlerweile auch gelernt haben die Auswirkungen unseres Handels in die Entscheidungen einfließen zu lassen. Ziel muss es sein mit Industrie/Logistik 4.0 die zugrundeliegenden Aufgaben optimiert zu erfüllen und negative Auswirkungen, sei es auf Menschen, Umwelt und Wirtschaft, rechtzeitig abzusehen und bestmöglich zu vermeiden.
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Veröffentlicht am 5. Mai 2021
Titelbild: Michael Manges