Outsourcing der operativen Logistik – Folge 4: Zeit der Entscheidung

Folge 4: Zeit der Entscheidung

In den bisherigen 3 Teilen haben wir die vorläufige Entscheidung getroffen Logistikdienstleistungen extern zu vergeben, Ausschreibungsunterlagen erstellt und an die zuvor identifizierten potenziellen Dienstleister versendet. Auf unserem Weg haben wir eine Menge interne Zahlen, Daten und Fakten erhoben, die wir für den Entscheidungsprozess benötigen. In Teil 4 erhalten wir Informationen aus externen Quellen als Entscheidungsbasis.


Warum Stellen Dienstleister Fragen zur Ausschreibung?

Auch bei sorgfältig zusammengestellten Ausschreibungen wird es zu Rückfragen der potentiellen Dienstleister kommen. Das ist durchaus normal und kein Grund zur Sorge. Die Qualität der Fragen ist allerdings ein guter Indikator wie intensiv sich der jeweilige Dienstleister mit Ihrer Ausschreibung beschäftigt. Aber warum kommt es überhaupt zu Nachfragen? Wir haben uns doch zuvor so bemüht alle Informationen zu liefern!

In der Ausschreibung befinden sich ausschließlich die Informationen, die der Autor als relevant einstuft. Das ist naturgemäß eine subjektive Sichtweise.  Nicht enthalten sind in der Regel z.B. Informationen die für das spezifische Setup (z.B. alternative Prozessoptionen) des jeweiligen Dienstleisters relevant sind, in der Eigenabwicklung aber keine Option waren oder auch keine relevanten Effekte haben würden. Nachfragen sind auch ein probates Mittel, um potenzielle Missverständnisse zu hinterfragen, z.B. bei unterschiedlicher Verwendung der gleichen Begrifflichkeit bei Ihnen und dem Dienstleister. Auch im Prozess- oder Schnittstellenteil treten nahezu immer Fragen auf, sowohl in Bezug auf die operativen Aufgaben als auch zu IT-Details. Fragen der Dienstleister sind, sofern diese nachvollziehbar sind, also kein Indiz für das Unvermögen des Dienstleisters, sondern für eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich selbst mache mir mehr Sorgen, wenn ich keine Fragen erhalte. Ganz ehrlich, in der Vielzahl der Ausschreibungen, mit denen ich in den letzten 25 Jahren zu tun hatte, gab es keine einzige die keinen Raum für nachvollziehbare Fragen lies, das gilt selbstverständlich auch für von mir erstellte Ausschreibungen.


Wie gehe ich mit Fragen der Dienstleister um?

Beantworten Sie möglichst alles. Sofern die Frage aus Ihrer Sicht bereits in den Ausschreibungsunterlagen beantwortet wurde referenzieren Sie auf diese Stelle. Die Qualität der Fragen kann man durchaus als Kriterium in die Gesamtbewertung einfließen lassen. Ein potentieller Partner, der wichtige und nachvollziehbare Fragen stellt, ist, zumindest für mich, vertrauenserweckender als einer der Fragen stellt die bereits eindeutig in den Unterlagen beantwortet sind.

Planen Sie also Zeit für die Beantwortung der Fragen ein, sowohl als Aufwand für Sie und Ihr Team als auch bei der initialen Planung der Durchlaufzeit für die Beantwortung Ihres RFQ (Request for Quotation).

Ich empfehle die Antworten, natürlich anonymisiert, allen Dienstleistern, die am RFQ teilnehmen, zur Verfügung zu stellen. Damit stellen Sie sicher, dass alle potenziellen Partner die identen Informationen zur Erstellung des Angebots zur Verfügung haben. Durchaus Sinn macht es dieses Prozedere spätestens im RFQ zu beschreiben, z.B. die wöchentliche Beantwortung aller Fragen, die bis spätestens Mittwoch einlangen bis Ende der jeweiligen Woche. Die Fragen und Antworten aller Dienstleister sollen dann auch verpflichtend für alle Dienstleister bei deren Angebotslegung gelten – zusätzlich zu den Informationen im RFQ. Das ist für Dienstleister natürlich eine Herausforderung, spart aber beiden Seiten Diskussionen im weiteren Projektverlauf.


Hilfe! Ich kenne nicht alle Antworten!

Keine Panik, wenn Sie einen Teil der gestellten Fragen nicht beantworten können, das ist nicht ungewöhnlich. Oft werden Informationen angefragt deren Relevanz in der eigenen Abwicklung nicht gegeben war oder deren Wichtigkeit nicht erkannt wurde. Wenn sie keine exakte Antwort liefern können, treffen Sie eine Annahme und kennzeichnen Sie diese bitte auch als solche bei der Weitergabe der Information.

Kann denn nicht auch der Dienstleister Annahmen treffen? Natürlich, aber Sie kennen Ihr Unternehmen und Ihr Umfeld besser als jeder Dienstleister, somit ist Ihre Annahme vermutlich näher an der Realität. Außerdem verhindern Sie damit, dass potenzielle Dienstleister das Angebot durch (zu) optimistische Annahmen (und entsprechende Absicherung in den Angebotsklauseln) besser darstellen als es in der Praxis dann tatsächlich ist. Außerdem stellen Sie durch Ihre Annahmen sicher, dass alle eingeladenen Dienstleister auf identer Daten- und Informationsbasis planen und kalkulieren. Ein weiteres Argument warum man alle Fragen und Antworten allen Dienstleistern zugänglich gemacht werden sollten.


Die Angebote kommen!

Zur gesetzten Deadline werden Sie, hoffentlich von allen Teilnehmern, jeweils ein Angebot erhalten. Schrecken Sie sich nicht, wenn das erst im letzten Moment vor Ablauf der gesetzten Frist passiert, das ist nicht ungewöhnlich. Oft wird bis zum letzten Tag optimiert und gerechnet. Viele Dienstleister haben den Offert-Prozess standardisiert mit klar definierten Milestones unter Einbeziehung aller involvierten Bereiche. Die Milestones richten sich nach der von Ihnen vorgegebenen Timeline, die finale Freigabe des Angebots ist in der Regel erst knapp vor Fristende, um möglichst lange auf neue Informationen reagieren zu können.

Immer wieder kommt es auch vor, dass Dienstleister um eine Verlängerung der Frist bitten. Das ist keine einfache Entscheidung. Wenn z.B. noch 2 Wochen bis Fristende verfügbar sind ist es einfacher zu gewähren (dann natürlich für alle am RFQ teilnehmenden Dienstleister), wenn die Anfrage am letzten Drücker gestellt wird ist es gegenüber den anderen potentiellen Dienstleistern (die vielleicht sogar schon ihr Angebot abgegeben haben) nicht fair. Überlegen Sie besser schon vorab, wie Sie auf solche Anfragen reagieren wollen informieren Sie die Logistikdienstleister frühzeitig.


Wie bewerte ich die Angebote?

Ich bin ein Fan von Zahlen, Daten, Fakten. Das bedeutet nicht, dass ich nicht auch auf mein Bauchgefühl höre, aber je besser das mir zur Verfügung stehende Datenmaterial ist umso besser fühlt sich mein Bauch.

Am einfachsten ist die finanzielle Seite zu vergleichen, dass aber selbst der Vergleich von Zahlen nicht so ganz banal ist sehen wir ein Stück weiter unten. Die Finanzen sollten aber nur ein Teil der Gesamtentscheidung sein. Sie suchen ja nicht die billigste, sondern die beste Lösung, also den Partner, der das für sie passendste Paket zum guten Preis anbietet. Ich arbeite dabei sehr gerne mit einer Bewertungsmatrix. Alle relevanten Bereiche werden mit deren prozentualen Anteil zur Gesamtentscheidung hinterlegt (z.B. Kosten x%, Prozesssicherheit x%, KPI-Vorschlag x%, Finanzieller Background des Anbieters x%, …). Das kann man durchaus auch mehrstufig machen, also z.B. den Teil zur Bewertung der vorgeschlagenen Prozesse in der nächsten Ebene in die Hauptprozessgruppen aufteilen. Zusätzlich gibt es KO-Kriterien – sobald eines dieser Kriterien vom jeweiligen Dienstleister nicht erfüllt werden kann ist er raus. Die Bewertungsmatrix sollten Sie schon parallel zur Erstellung der Ausschreibung definieren, damit ergibt sich die Information, welche Daten Sie von den potenziellen Anbietern in deren Angebot anfordern. Auf Basis dieser Matrix wird nun jeder Anbieter bewertet, z.B. nach Schulnotensystem, Punktesystem oder Erreichungsgrad. Ganz wichtig: Auch Ihre eigene Abwicklung darf in der Bewertung nicht fehlen, wir haben ja noch nicht final entschieden ob Outsourcing für Sie wirklich die bessere Lösung ist.

Haben Sie die Detailergebnisse in Relation gesetzt mit dem jeweiligen Anteil an der Gesamtbewertung erhalten Sie Ihr Ranking der Dienstleister. Manche Bewertungskriterien sind eher „weich“ und die Bewertung subjektiv beeinflusst. Das ist meines Erachtens nicht zu vermeiden und darf so sein. Wenn mehrere Personen in Ihrem Unternehmen in die Entscheidung involviert sind, ist es ein guter Ansatz, die Gewichtung und die Bewertung durch jede dieser Personen durchführen zu lassen. Auch wenn die Detailergebnisse abweichen mögen, gemäß meiner Erfahrung ist das finale Ranking meist ident, durch die Einbeziehung aller Stakeholder steigt die Akzeptanz der Entscheidung.


Wie vergleiche ich die Kosten?

Prinzipiell haben Sie 2 Möglichkeiten Kosteninformationen anzufragen. Entweder Sie geben bereits die Abrechnungssystematik im RFQ vor (also welche Positionen in welcher Menge laut Mengengerüst darf der Dienstleister im Jahr abrechnen) oder Sie überlassen das den Dienstleistern.

Im ersten Fall ist der Vergleich einfacher, zwingt die Dienstleister aber mitunter dazu ihre Kosten in Einheiten anzugeben, die nicht so einfach in die Aufwandstreiber umzurechnen sind. Entweder versucht der Dienstleister also eine Umrechnungsformel zwischen Ihrer gewünschten Einheit und dem Aufwandstreiber zu vereinbaren (das macht die Vorausschau der Kosten für Sie wohl wieder etwas ungenauer) oder er muss entsprechende Sicherheiten miteinberechnen – somit wird die Dienstleistung teurer.

In der zweiten Variante ist der Vergleich augenscheinlich schwieriger, dafür kann (und das sollte eine klare Aufforderung im RFQ sein) der Dienstleister die Abrechnungseinheiten möglichst nahe an seinen Aufwandstreibern definieren. Zusätzlich zu den Einzelpreisen sollten Sie in diesem Fall auf jeden Fall ein Jahresbudget auf Abrechnungspositionsebene mit den Abrechnungseinheiten und den jeweils kalkulierten Mengen als Bestandteil des Angebots fordern.

Egal welche Variante und wie sie die Kosten betrachten, meist beziehen sich die Mengen und damit die errechneten Jahreskosten auf historische Daten (z.B. des Vorjahres). Definieren Sie bereits in der Ausschreibung welche Mengenschwankungen (in beide Richtungen) die Dienstleister ohne Diskussion über Einzelpreise zu akzeptieren müssen.

Um eine Aussage über die tatsächlich zu erwartenden Kosten treffen zu können, müssen Sie über die geplante Vertragslaufzeit in die Zukunft schauen. Kalkulieren Sie die Jahreskosten für verschiedene Szenarien (Änderung der Auftragsstrukturen, Wachstum, …) und schauen Sie groß die Auswirkung in der Bewertung der Dienstleister, immer auch im Vergleich zu den Eigenleistungskosten, ist. In den unterschiedlichen Szenarien können durchaus unterschiedliche Dienstleister kostenseitig die Nase vorne haben. Mit dieser Vorgehensweise identifizieren Sie zum Einem welche Entwicklungen nennenswerte Auswirkungen auf die Kostenstruktur haben und erkennen andererseits welche Kostenblöcke Sie mit den präferierten Partnern nachverhandeln müssen.


Zeit der Entscheidung

Wie auch immer Sie den Bewertungsprozess im Detail gestalten, planen Sie ausreichend Zeit ein. Es dauert fast immer länger als ursprünglich geplant – und das kann zu gefährlichem Zeitdruck in der Implementierung führen. Erst jetzt, am Ende des Prozesses, entscheiden Sie final ob Sie wirklich outsourcen. Es ist legitim, auch zu diesem Zeitpunkt, das Projekt zurückzuziehen. Die Dienstleister werden natürlich nicht erfreut sein, aber am Ende war keiner der Anbieter in der Lage, Ihnen im Gesamten einen Vorteil zur Eigenabwicklung zu bieten. Punkt.


Geht es auch anders

Es gibt natürlich auch viele andere Wege den Vergabeprozess oder Teilprozesse zu gestalten. Ich habe versucht einen möglichst generischen Ansatz für unterschiedliche Branchen, Erfahrungslevel und Unternehmensgrößen zu finden. Einen Prozess, den ich für sehr gut geeignet halte, um, zugegebenermaßen mit entsprechendem Aufwand, das beste angebotene Logistikkonzept für die jeweiligen Anforderungen zu finden.

Ein Beispiel für einen etwas anderen (Teil)-Ansatz wäre das Online-Bietverfahren bei dem im Sinne einer umgekehrten Auktion (es wird also laufend billiger) die potentiellen Dienstleister zu einem festgelegten Zeitpunkt in meist mehreren Bietrunden Kosteninformationen in ein dafür konzipiertes Online-Tool eingeben.


Fazit: Bleiben Sie objektiv!

Je detaillierter, genauer und unvoreingenommener Sie an die Bewertung herangehen, je genauer Sie dokumentieren umso besser werden Sie sich mit der Entscheidung fühlen, umso besser können Sie die Entscheidung gegenüber den Stakeholdern argumentieren.


Wie geht es in der Serie weiter?

Sofern die finale Entscheidung für das Outsourcing gefallen ist starten wir im nächsten Teil in die Implementierung mit dem gewählten Partner.

Ich freue mich sehr über Ihre Rückmeldung zur Serie und beantworte gerne Ihre Fragen. Meine Kontaktdetails finden Sie hier.

Sie wollen stets informiert bleiben? Kein Problem! Melden Sie sich für meinen kostenlosen Logistik-Newsletter an. Hier geht’s zur Anmeldung.


Die vollständige Blog-Serie zum Outsourcing von Logistikleistungen

Folge 1     |    Folge 2     |     Folge 3     |     Folge 4     |     Folge 5     |     Folge 6

 



Veröffentlicht am 3. Februar 2021

Titelbild: iStock.com/AndreyPopov